Edvard Munch, eine Psychoanalyse von Frank Sacco

 

  

Vorwort Müller: Nach Psychoanalysen von Rilke, Rousseau, Kafka, Jung und Freud nimmt Frank Sacco, Doktor der Medizin, sich nun Edvard Munch vor. Der norwegische Maler und Grafiker galt als epochemachender Neuschöpfer. Sacco attestiert ihm eine Kontaktstörung und vertritt die Hypothese, Munch habe sich umgebracht (Bild: Selbstportrait von Edvard Munch – Google Art Project: pic, Gemeinfrei, Wikimedia Commons).

 

 

Edvard Munch, eine Psychoanalyse 

 

 

Der Maler der Avantgarde, Edvard Munch, wurde als Sohn des Militärarztes Christian Munch und seiner Frau Laura am 12. Dezember 1863 in Norwegen geboren. Er wurde notgetauft. Dem Himmel sei Dank! Taufen darf übrigens jeder Gläubige. Jeder Getaufte ist Priester, so Luther. Und das zeitlebens. Ungetauft zu sterben ist leider nach dem Dogma ein größeres Malheur,  da dann  die Hölle ins Haus stehe. Wohingegen die Vorhölle für ungetaufte Kinder neulich abgeschafft wurde. Man hatte sich einfach geirrt. Eine Taufe wird heute noch für sehr wichtig gehalten. Der christliche Glaube wird noch nicht als Aberglaube erkannt, was sich sehr negativ auf die Volksgesundheit und unser  Volksvermögen auswirkt.

 

„Krankheit, Wahnsinn und Tod hielten wie schwarze Engel Wache an meiner Wiege“, schreibt Munch.  Und weiter: „Sie haben mich durch mein ganzes Leben begleitet. Mein Vater versuchte, für uns Vater und Mutter zu sein. Aber er war schwermütig, nervös-erblich belastet, mit Perioden religiöser Anwandlungen, die an Wahnsinn grenzten, wenn er tagelang im Zimmer auf und abschritt und dabei Gott anrief.  Zeitig habe ich Elend und Gefahren des irdischen Lebens kennengelernt und vom Leben nach dem Tod in der ewigen Höllenpein gehört, die die sündigen Menschen erwartet.“ Später wird der Maler folgerichtig an einer ecclesiogenen Depression erkranken. Doch weiter: Mit vier Jahren verlor er seine Mutter. Munchs Schwester starb mit 15 Jahren an TBC. Da war Munch 13. Mit 25 starb sein Vater, mit 32 sein kleiner Bruder. Munchs Schwester Laura verabschiedete sich (auch von ihm)  in eine Art depressiv getönte Psychose, in der sie quasi Abschied von der Welt um sie herum nahm.

Ein Kind nimmt im christlichen Umfeld die Dinge so wahr, wie sie ihm gepredigt werden: Der Tod eines engen Verwandten tritt ein, wenn Gott das Leben wieder nimmt, das er einmal gegeben haben soll. In einer Begräbnispredigt wird bis zum heutigen Tag vor Kindern offengelassen, wohin der Verstorbene letztendlich kommt. Man möchte Gott da als Geistlicher nicht vorgreifen, ob es nun der Himmel oder die Hölle ist. Auch kann ein Kind den Verlust eines geliebten Menschen als göttliche Strafe eines „Allmächtigen“ auffassen, der seine Allmacht nicht einsetzte, um den Tod abzuwenden. Kein Kind hält so einen Gott aus.

Auch Munch weist dann eine Kontaktstörung auf. Er lebt allein, unverheiratet. Eine Liebesbeziehung geht schief und endet mit einem Revolverschuss in seine Hand. Sein Biograf Karl Ove Knausgård schreibt: „Fügt man dieser Reihe von Verlusten eine enorme Sensibilität hinzu und eine ferne, zeitweise religiös verwirrte, teils freundliche, teils brutale Vaterfigur, die sein Aufwachsen begleitete, so erhält man ein Kind, einen Jugendlichen und einen jungen Mann, der solche Angst vor einem Verlust hat, dass er sich selbst schützt, indem er jede Bindung vermeid. Abkapselung wurde seine „Lebensstrategie.“ Nun, ist dies nicht die Lebensstrategie unserer Psychotiker? Diese Flucht in die Isolation?

Munch malt ein „Selbstportrait in der Hölle“. Seine Angst vor einer ewigen Verdammnis, also sein Sacco-Syndrom,  führte ihn zuletzt dahin, seine Religion gänzlich abzulehnen. Einen „kollektiven Wahn“ nennt Eugen Drewermann eine derartige Religion wie die christliche, die mit einem Arsenal des Schreckens „den Einzelnen in den Wahnsinn“ treibt. Zur Abwendung dieses Wahnsinns wird Munch in einer Kopenhagener Klinik  über 8 Monate wegen Depressionen, Bipolarität und Suchtproblemen behandelt. Heute meint man, er und seine Schwester hätten unter einem Borderline-Syndrom gelitten. Doch welche Diagnose auch immer, psychische Krankheiten sind im Grunde Angsterkrankungen. Und oft genug sind sie so offensichtlich kirchenbedingt, dass der Verursacher Kirche auch die Behandlung bezahlen müsste. „Existenzängste“ sollen beide gehabt haben. Doch was ist das? Eine Angst, nicht mehr zu existieren? Oder Angst, zu existieren und in dieser Existenz zu leiden. Oder ist es gar auch die Angst, noch nach dem Tod zu leben und damit in die Hände eines folternden Jesus zu gelangen, der als unterirdischer Rachegott nach dem Kirchenautor Hans-Werner Deppe „schlimmer“ als Hitler wüten wird? Darf Deppe das überhaupt behaupten? Er darf, meint der Staatsanwalt. Kirche darf (noch) alles. Sie darf auch unsere Psychiatrien füllen – und speziell dort die sog. geschlossenen Stationen.

Über die Hölle, diesen wirklich genialen Einfall der Geistlichkeit,  haben die Schreiber der Bibel von der Irrlehre des altägyptischen Glaubens abgeschrieben. Maat, die ausgedachte Göttin der Gerechtigkeit, verurteilt die Sünder zum Gefressen werden. „Unser“ Luzifer, der von Jesus verurteilte Sünder verschlingt, entspricht im ägyptischen dieser nilpferdartigen Totenfresserin. Alles ist also kalter und dazu noch ausgedachter orientalischer Kaffee, der keineswegs „zu Deutschland gehört“. Er gehört in die Wüste.

 

In seiner Lebensmitte malte Eduard Munch wie kein anderer die „Angst“. Sie äußert sich im Entsetzen, im „Der Schrei“. Es ist ein Schrei aus einer Panik heraus, ein Schrei über dies- oder jenseitige unmenschliche Härten. Er selbst schrieb am 5.März 1929, er finde „gewisse eigenartige Parallelen“  zu Kierkegaard. Ich finde sie auch. Beide trugen Gottangst in sehr hoher Konzentration in sich. Parallelen gibt es auch zu unsren Schizophrenen. Zunächst sind sie realistische Rebellen und kämpferisch in Sachen Gottkritik. Ja sie provozieren ihren Kindheitsgott mit Amuletten, Wahrsagen sowie Hexen- und Teufelsdingen. Sie leiden dann an sie beschimpfenden, aber selbst produzierten Über-Ich-Halluzinationen. Mit den Jahren fügen sie sich mehr drein. Sie werden ruhig und religiös konservativ. So werden Munchs Bilder auch anders. Ruhiger. Er kann Gärten malen, Wälder und Felder. Die Angst weicht ein gutes Stück aus seinem Selbst und macht einem gewissen inneren Frieden Platz. Doch auch im Werk des späten Munch sieht man die Angst. Munch erkennt Beziehungen zu van Gogh. Auch er malt die  "Sternennacht". Munch schreibt 1933 über seine Beziehung zu van Gogh, den er aus Paris kannte: "Ich wollte in meinem längeren Leben und mit mehr Geld zur Verfügung, meine Flamme auch nicht erlöschen lassen, genau wie er, und mit brennendem Pinsel bis zum letzten Moment malen." 

Ich glaube, Munch hat sich letztlich im Alter aber doch  umgebracht. Seine Chronisten halten sich da bedeckt. Wenn er es wegen seiner Kierkegaard´schen Angst vor der Hölle tat, dann hat ihn seine Kirche umgebracht. Die Gottangst der Väter bzw. Mütter wird von Generation zu Generation über ca. 4 Generationen verbal oder abverbal weitergegeben. Und nicht über Gene. Erst dann erlischt das familiäre Gedächtnis betreffs der Sünden der Ur-Urgroßeltern. Die Bibel dazu: Gott „strafe“ bis ins 4. Glied. Doch es ist anders: Bis ins 4. Glied wird eine Gottangst tradiert, bis dahin sind masochistische Depressionen nachzuweisen: Über Ängste kommt es neben handfesten Sacco-Syndromen zu beschwichtigenden Bußhandlungen  und Opferungen diverser Art: Der Zweck: Ein Entkommen von der (eingeredeten) Hölle, der Geldmaschine der Religionen. Die Hölle mit ihren Foltern sei ein „Geschäft“ seiner Kirche, so Bischof Nikolaus Schneider. Das Christentum sei die bisher „beste Geschäftsidee“, so zu lesen im Kirchenblatt idea-Spektrum.

Doch ich meine, es war eher eine andere Angst, die Munch in einen Freitod trieb: Er wollte frei sein, frei von der Angst vor einem qualvollen Sterben in Einsamkeit. Er starb 1944.