Rezension Max Schur: „Zur Metapsychologie der Somatisierung“, Aufsatz im Buch „Einführung in die Psychosomatische Medizin“, Fischer Athenäum, Sozialwissenschaften, Psychologie  1974


 

Max Schur war österreichischer Arzt, Psychoanalytiker und Leibarzt Sigmund Freuds.  Gestorben ist er  am 12. Oktober 1969 in New York City.

Zum Artikel: Schur zeigt uns die kausalen Zusammenhänge einer schweren Hauterkrankung mit psychischen Problemen auf.  Schwerste  Traumen rufen  beim beschriebenen Kind Ängste (vor Sexualität und vor Liebesentzug), starke Schuld- sowie Sündengefühle und Aggressionen hervor. Zur Zeit Freuds machte sich die sprechende Medizin noch die Mühe, Neurodermitis, Psoriasis, Polyarthritis, Asthma, Magenulcera, Migräne, Colitis und Hypertonie anders als mit Chemie zu behandeln. Die Zusammenhänge mit der Psyche sind aber jedem Haus- und Hautarzt durch seine tägliche Arbeit bekannt und eindeutig. Doch zum Fall:

 

Vier Jahre lang  analysierte Schur eine 22 Jährige Frau mit einem schweren Ekzem. Die gesamte Haut war in einer Lichenifikation extrem  verdickt. Erste Symptome im  2. Lebensjahr. Der alkoholabhängige Vater verging sich sexuell an ihr, spätestens seit die Patientin ein eigenes Erinnerungsvermögen hatte. Im Alter vom 11. bis zum 13. Lebensjahr war es „regelrechter Geschlechtsverkehr“. Die Mutter wusste davon, verlangte aber Stillschweigen. Das Kind nahm sich vor, den Vater irgendwann zu töten. Mit einem Dolch. Doch er starb (zu) früh. Nur noch in Phantasien und Tagträumen kam der geplante Vergeltungsakt noch vor. Schwere Depressionen und Aggressionen wechselten sich ab.

 

Eine sexuelle Episode mit einem gleichaltrigen Jugendlichen war der Patientin verständlicher Weise ein Gräuel. Onanie wurde als Sünde empfunden. Einen Suizidversuch mit Jodtinktur überlebte sie knapp. Schnell stellten sich Schuldgefühle ein. Bekannt ist, dass sich sexuell missbrauchte Kinder selbst die Schuld für das ihnen angetane geben. Schurs Patientin heiratete dann in der  Hoffnung auf Besserung. Doch auch in der Ehe versagte sie dem verständnisvollen Ehemann allermeist den Verkehr. Der Hautzustand wurde extrem, sobald der Gedanke an  Sexualität ins Spiel kam.  Es ließ sich kaum noch eine Vene finden.

 

Ganz „nebenbei“ erfahren wir aber ganz Wichtiges: „Als Katholikin ging das Kind öfters zur Beichte.“ Dennoch lebte es in ständiger Angst. „Wenn sie zur Kirche ging, war oft ihr Gesicht gerötet und geschwollen, und mehrmals wurde sie in der Kirche ohnmächtig.“ Dieses Geschehen wird von Autor weder analysiert noch therapiert. Wie auch bei Freud und der heutigen Psychiatrie ist das Thema Religion und Hölle verpönt und tabu. Die Ursache: eigene, unterschwellige  Gottangst beim Therapeuten (4). Das Geschehen erinnert uns aber an die Ohnmachten Sigmund Freuds im Zusammenhang mit dessen Gottängsten. Freud hatte seinen Kindheitsgott mit den Worten „Religion ist Wahn“ getötet und damit die verhängnisvollste „Sünde“ begangen, die das Judentum kennt. Den „Gottesmörder“ Nietzsche trieb seine Religionskritik  in eine angstbesetzte Psychose. „Wir sind die Mörder aller Mörder“, so der Denker. Doch kann man ein Phantasiegebilde töten? Freud hingegen wurde nikotinsüchtig. Rauchen beruhigt. Dabei stellt es gar keine Schuld oder gar eine Sünde dar, Götter zu töten, die es so, wie sie in den religiösen Dogmen dargestellt werden,  gar nicht gibt, nicht geben kann.

 

Vor dem Priester habe die Patientin den Inzest mit dem Vater nicht beichten können. So wurde ihr diese „lässliche Sünde“ auch nicht vergeben. Bei dem Gedanken an erneute Schläge des Vaters fiel die Patientin nicht in Ohnmacht, wohl aber beim Denken an ein ewiges Brennen im Feuer des „Retters“ Jesus. Drifte ich hier ins Mittelalter ab? Nein. Im Rahmen der 2010 aufgedeckten Missbrauchsskandale wurde deutlich, dass pädophile Kleriker missbrauchte  Kinder zur Beichte schickten. So konnte man ein Öffentlich-werden der Angelegenheit über das Beichtgeheimnis verhindern. Ja es war zu lesen, dass ein Knabe, der einen Kleriker „verführt“,  sich nicht nur dessen Verführung, sondern auch der Homosexualität schuldig im Sinn einer Sünde gemacht habe. Die Gesellschaft diskriminiert und straft ein missbrauchtes Kind im Gegensatz dazu nicht zusätzlich. Im Gegenteil. Sie verurteilt den Täter, nicht das Opfer.

 

Anders aber die Praxis in gewissen Kirchen: Die Strafe für eine vom Kind ungebeichtete, in diesem Fall gottlob noch „lässliche Sünde“, ist einem unberechenbaren „Gott“ überlassen, dem Täter der Sintflut. Hier die Aussage Johannes Paul II. hinsichtlich des Beichtens lässlicher Sünden: Die Kirche höre nicht auf, „allen das einzigartige Reichtum in Erinnerung zu bringen, das im sakramentalen Akt (der Beichte, der Verf.) auch hinsichtlich solcher Sünden enthalten ist.“ Das häufige Herantreten an dieses Sakrament  „stärkt das Bewusstsein, dass auch die kleineren Sünden Gott beleidigen und die Kirche, den Leib Christi, verwunden.

 

Ein missbrauchtes Kind verwundet den Körper Jesu?  „Herr gib, dass ich durch Sünde nicht, foltre Dich aufs Neue“, so ein bekanntes Kirchenlied. Dass da, bei dieser unterstellten Körperverletzung Jesu hefige Schuldgefühle im Kind entstehen, ist selbstverständlich. Religion ist halt Politik, so der Mönch Meinrad Dufner. Religion will Schuld, Demut und Ängste vor göttlichem Liebesentzug und vor ewiger Strafe möglichst frühzeitig erzeugen. Doch es ist nicht die „Sünde“, die Kindern Angst macht. Angst machen die zu erwartenden bzw. klerikal eingeredeten ewigen Strafen für Sünden. So kann ein Buß-und Betzwang entstehen, wie bei meiner Patientin Anja (Name geändert). Angst kann zu masochistischem Verhalten mit seelischer und / oder körperlicher Verletzung führen, wie wir es von der Inzestgeschichte des Ödipus her kennen. Aus lauter Furcht vor Höllenstrafen eines  Zeus (den es ja gar nicht gab) opferte Ödipus ihm beide Augen. Heute ist dieser autoaggressive Mechanismus in der masochistischen (früher „endogenen“) Depression versteckt sowie in etlichen Fällen der oben genannten Autoaggressionskrankheiten. Sie stellen wie auch gewisse Symptome im  Sacco-Syndrom moderne Bußaktionen mit der Absicht dar, jenseitige Folter abzuwehren. Bis 6000 Grad könne es Jesus in seiner  Hölle heiß werden lassen. Man werde dort froh sein um jeden nicht brennenden Körperteil, so der Kirchenmann Deppe. Solche exzessiven Bedrohungen sind nicht nach § 241 StGB strafbar, wenn sie von der Kirche her kommen, redet sich die Staatsanwaltschaft Detmold heraus. Der Vatikan bestätigt im Heiligen Jahr 2000 über Papst Benedikt schon stattfindende jenseitige Folterungen in Jesu Hölle. „Vor Entsetzen“ könne man beim Zusehen sterben.

 

Wie „therapiert“ man ein solches Kind? Eine Prophylaxe besteht zunächst in einem Boykott der Amtskirchen, also Kirchenaustritt und Boykott der christlichen Kindergärten. Das reduziert schon einmal die größte Angst im Kind. Zum anderen ist Pädophilie zu brandmarken und andere Formen von Gewaltanwendung beim Kind. Ich beschrieb an anderer Stelle auch eine Prophylaxe der Entstehung von  Pädophilie. Wichtig für die Patientin ist eine behutsame Reduktion der Aversion gegen jede Form von Sexualität. Onanie ist keine Sünde. Als normales Kind hat auch Jesus onaniert. Opfer ist das Kind, nicht Täter. Aggressionen dürfen sein, bewirken aber Sündengefühle. Auch hier sind kleine Schritte notwendig. Dann werden in einer Ekklesio-adversativen Therapie kirchliche Gewalt und dortige Verbrechen an Kindern besprochen (6). Beides ist  Politik. Nach Bischof Schneider  gehört das zum Geschäft.

 

Es braucht ein neues Gottesbild, so der Mönch Dufner bei einer Begegnung mit ihm in Münsterschwarzach. Er schrieb ein Buch über das Thema (3). Es braucht es nicht für den Vatikan, aber für unsere Kinder. Und für diejenigen Seelsorger, die ein wirkliches Herz haben für die Gläubigen. Ein Herz wie Dufner.