Hölderlin

 

 

Hölderlin wurde 1770 geboren. Seine Mutter war die Tochter eines Pfarrers. Fromm und ängstlich. Ihr Ziel: Hölderlin sollte auch Pfarrer werden. Das ist auch heute noch die beste Höllenversicherung für fast alle Mütter: Das Kind wird Geistlicher oder Nonne und legt am Jüngsten Tag ein gutes Wort für die Frau Mamma ein.

 

Drewermann berichtet über eine Ordensschwester, die äußert: „Ich war achtzehn Jahre alt, als ich in die Gemeinschaft eintrat, um meine Sünden abzubüßen und um nicht in die Hölle zu kommen... Für mich war beizeiten alles schwere Sünde; ich konnte nur büßen, büßen, büßen, um alles wieder gutzumachen.“ Natürlich denkt nicht jede Nonne so. Aber Nonne zu sein oder es werden zu wollen ist oft schon eine Diagnose.

 

Im „freudlosen Drill“ der Klosterschulen hört das Kind Hölderlin von einem, von seinem „Gott“ und über dessen bekannte und natürlich unwahre „Grausamkeiten“, wie sich die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer am 17.11 09 in einer Sitzung über Glaubensfragen so sehr treffend ausdrückte. Die Kirchen behaupten ja ohne jede Scham vor Kindern, Gott sei der Täter der Sintflut und der Kinderverbrennungen in Sodom und Gomorrha. Sein Sohn, Bibel-Jesus, Erlöser genannt, erlöse allerdings nur, die ihn anerkennen: „Kein Weg führt zum Vater, denn durch mich.“ Die anderen, und die christlichen nicht reuigen Sünder, kommen in die uns bekannte Hölle, die der Schweizer T. Hürlimann ein KZ nennt. In einen überdimensionalen Kochtopf kommt man dort, wie er im Paderborner Dom noch heute neben dem richtenden Jesus abgebildet ist. Und leider nicht nur dort. Der Richter „Bibel-Jesus“ ist Hobbykoch. Papst Benedikt dazu: „Mit den protestantischen Freunden teilen wir den Glauben an .....Hölle.“ Leider warte auch auf die ungläubigen Juden die Hölle Jesu, so in idea Spectrum 12/2011: „Auch ein Jude kommt nur durch den Glauben an ... Jesus Christus in den Himmel (Seite 11).“ Den Juden bleibt auch gar nichts erspart. Von einem KZ geht’s ins nächste. Durch derartige Kirchenreklame, man hätte den wahren und einzigen Gott aufzubieten, verstößt man gegen die Religionsfreiheit, und die ist grundgesetzlich garantiert. Helmut Schmidt prangert in „Religion in der Verantwortung“ diese Geschäftspraktik an. Jeder soll doch den Gott behalten dürfen, den die Eltern gehabt haben, so der Humanist Schmidt.

 

Für Hölderlins Sacco – Syndrom war der Verlust seines Vaters und seines Stiefvaters in früher Kindheit mitbestimmend. Hier wurde harte weltliche Realität früh an ihn herangetragen. Hölderlins metaphysische Realität sah so aus: Von Gott glaubte Hölderlin, dieser „liebe“ ihn „nicht“. Was mit solchen Menschen am Ende „passiert“, sagt uns die Bibel ja deutlich. Entgegen seinem Versprechen wird H. nicht Pfarrer, bzw. zunächst nicht. Er wird Dichter. Erst spät, kurz vor seiner Schizophrenie, die eine simple Verwandlungsform seiner vor- bestehenden Depression ist, wird er Geistlicher. Seine Dichtung ist uns heute einigermaßen verschlossen, befasst sie sich doch mit der griechischen Mythologie. Und in der kennen wir uns nicht mehr aus.

 

Die Mutter droht Hölderlin, dem „sehr furchtsamen“, in einem Brief vom 29. Okt. 1805 mit der „Ungnade“ seines Gottes. Diese Ungnade ist auch nach heutiger Lehrmeinung beider christlicher Kirchen die ewige Hölle. Zwischentöne und Mittelwege, so etwa zwei Tage Hausarrest, kennt der Bibelgott nicht. „Besonders aber bitte ich Dich herzlich, dass Du die Pflichten gegen unseren lieben Gott und Vater im Himmel nicht versäumest.“ Nun, solche Pflichten versäumt Hölderlin. Er glaubt es zumindest.

 

Bei E. Kurt Fischer heißt es im Buch „Hölderlin“, Propyläen Verlag, Berlin: „In seinen Briefen ist durchgehend der Inhalt ein Kampf und ein Anringen gegen die Gottheit...“. H. spricht von seinen Studien in den „neuen Philosophien“, speziell denen A. Schopenhauers. Schopenhauer geht gottlob nicht gerade zartfühlend mit unserem Bibelgott ins Gericht. Dafür hatte ihm das Schicksal aber auch eine beinharte und kämpferische Natur gegeben. Anders Hölderlin. Die Schopenhauerschen Thesen, die Übernahme dieser Thesen in die eigene Weltanschauung, das löste bei H. Schuldgefühle massivster Art aus und damit Höllenangst. „Heilig Wesen!“, dichtet er, „gestört hab ich die goldene Götterruhe dir oft... O vergiss es, vergib!“ Die Höllenangst war aber bei H. nicht durchgehend dominierend. In einem Brief vom 20.11.1796 an Hegel schreibt er: „Es ist recht gut, dass mich die Höllengeister,... seitdem ich in Frankfurt bin, verlassen haben.“ Er dichtet: Des Vaters Strahl, der reine versengt er nicht... bleibt im unaufhaltsamen Sturme des Gottes, wenn er nahet, das Herz doch fest. Doch weh mir! Wenn von... Weh mir!“ Trotz der Aufklärung, in der er lebte, glaubt er an die ewige Hölle. „Tyrannen keine Gnade, ewige Rache den Völkerschändern“, dichtet er. Hölderlin hätte Hitler also tatsächlich in die Feuerhölle gewünscht. Ich wünsche Hitler nur auf die Schulbank. Die ist hart genug.

Die letzten Jahrzehnte, die Jahrzehnte seiner Schizophrenie, verbrachte H. in seinem Turm am Neckar bei einem Tischler namens Zimmer. Genauer als Zimmer hat Hölderlin keiner gekannt. Zimmer sagt: „Bei ihm ischt es die Schwärmerei für das blanke Heidentum gewese, das hat ihn überschnappe lasse“. Da haben wir Hölderlins Wahrheit.

Für diesen, den schwersten aller Kämpfe, war Hölderlin zu schwach. Immerhin, Zimmer gelang eine Art Teufelsaustreibung.

Es ist aber ganz anders. Teufelsaustreibungen gibt es ja nicht, denn Teufel sind Erfindungen krimineller Geistlicher aus finanziellem Interesse oder aus Machtstreben heraus. Sobald ich aber einen Teufel sehe, ändere ich umgehend dieses Buch. Was es aber leider gibt, ist die von Kirchen ausgeführte Hineintreibung von Höllenängsten in unsere Kleinkinder. Bischof Becker, Paderborner Dom, zitiert in einer Broschüre Zweijährige in seinen Hauptgottesdienst. Sie sollen eine „besondere Sensibilität gegenüber dem Kirchenraum“ mit dem dortigen Jesus am Ewigkeitskochtopf entwickeln. Das ist Kindesmissbrauch, der aber erlaubt sein soll. Wir haben uns erkundigt. Wir, das sind die Mitglieder der Gruppe 49. Es sind durchgehend Spezialisten in Sachen Kirchenreform. Die Besetzung ist international.

Ich empfehle als Behandlung der heutigen Hölderlins eine so genannte Ausfirmung im Rahmen einer EAT. Es ist dies der Gegenpol zur Konfirmation, also das Ersetzen kranker Gedanken über unseren Gott durch den Gedanken eines Gottes der bedingungslosen Liebe (siehe Eugen Biser, Priester). Die Ausfirmung ist Teil einer sog. EA-Therapie, einer EAT.

 

Zimmers Austreibung oder besser Ausfirmung der Hölderlinschen Gottangst sah nun so aus: Zimmer: „Da hab ich i genomme mit beide Fäuscht, hab ihn stark zusammengerüttelt, ihn aufn Stuhl gesetzt, hab mit de Händ aufn Tisch geschlage und ihm gesagt, i wollt scho fertig werde mit dem Bösen in ihm. Da hat die Beschtie in ihm (der grausame Bibelgott, der Verf.), die seinen guten Geist bewältige gewollt, Respekt vor mir bekomme, ischt zu Kreuz gekroche und hat sich nie mehr gemukscht.“

 

Analytikern sind solche therapeutischen Spitzenleistungen heute fremd. Hölderlin fühlte sich aber im Schutz eines Menschen, der „stärker war“ als seine beiden Dämonen: Bibelgott und Bibeljesus. Vielleicht oder wahrscheinlich wusste aber Zimmer selbst nicht, mit welchen „Beschtien“ er, Zimmer, gekämpft hatte. Hölderlins bekanntes Toben stoppte auf jeden Fall nach der Aktion schlagartig. Heute erreichen Psychiater ein Nichttoben nur durch schwerste Geschütze: Neuroleptika. Die haben nahezu unzählige Nebenwirkungen.

 

Einen derartigen Schutz gibt die Psychiatrie heute ihren Patienten also nicht bzw. nicht mehr. Spätestens im Jahr 1918 ergab sich eine Zäsur. Die Postmoderne begann. Die Gesellschaft, und damit auch ihre Psychiatrie, hat den Höllenglauben in das kollektive Unbewusste zurückgedrängt, aus der ihn Rilke, Schopenhauer und Nietzsche und viele andere gerade herausgeholt hatten. Während Goethe sich und seinen Faust von der Hölle befreit, katapultiert ihn Thomas Mann als Dr. Faustus schon wieder hinein. Es setzte wieder der allerdings verdrängte Glaube an ein „Jüngstes Gericht“ ein, der Glaube an einen Jesus, der „kommen wird“ und foltern, „Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit“, in einem „Feuerofen“. Was da in Anführungsstrichen steht, sind leider Bibelzitate aus dem ach so „harmlosen“ Neuen Testament, aus dem nicht jugendfreien Buch Bibel, das in seiner Wörtlichkeit gerade eine Renaissance zu feiern scheint. Frau Dr. M. Käßmann, ehemals Bischöfin in Niedersachsen, hält es allerdings für „Gotteslästerung“, wenn man unserem Gott, der ja die Liebe ist, angeblich begangene oder geplante Gewalttaten unterschiebt. Schade, dass sie gehen musste. Ihre sinngemäße Äußerung, Krieg in Afghanistan sei nicht Gottes Wille, war dem kirchlichen Establishment zuviel. Zitat Dr. M. Käßmann:

 

„Jeder Mensch, der glaubt, dass er Gewalttaten religiös deklinieren könne, ist ein Gotteslästerer.“

 

Nun ein Gedicht über Hölderlin.

 

 

 

 

Am langen Fluss

 

Ein Kind es spielte leise Ein Kind es spielte leise

Am schwarzen Neckarfluss am schwarzen Neckarfluss

Und schaut auf stille Weise Herr richte meine Reise

Und der Morgentau am Fuß die ich jetzt gehen muss

War kalt wies Moos doch schenk mir Sünder Gnad

Vater, wo ist deine Hand Es schaut den schwarzen Turmbau

Die Wärme deiner Wange Gott sieht und hört mein Tun

Kaum hab ich sie gekannt wie sind die Wolken ach so grau

Wie ist die Welt mir bange nur Gutes will ich tun

Wie ist die Angst mir kalt doch schenk mir Sündlein Gnad

Oh Gott, gib du mir Segen Und heute ich dir schwöre

Vergib mir diesem Kind bei meines Glückes Freud

Beschütz du mich im Leben mein Leben dir gehöre

Auch wenn wir Sünder sind morgen und auch heut

Doch straf mich nicht so kalt denn kalt ist es im Moos

 

 

 

 

Im Jahr 1801 schreibt Hölderlin an Böhlendorff über die neuen Wahrheiten der Aufklärung: „Sonst konnt ich jauchzen über die neue Wahrheit, eine bessere Ansicht deß, das über uns und um uns ist, jetzt fürcht ich, dass es mir nicht geh am Ende, wie dem alten Tantalus, dem mehr von den Göttern ward, als er verdauen konnte.“ Und dann: „Aber wenn von selbstgeschlagender Wunde das Herz mir blutet, und tiefverloren der Friede ist...“ Der Kampf gegen die Götter ist so leicht also nicht. Ich kann gut verstehen, wenn man sich lieber demütig verhält.

Tantalus, der Sohn des Zeus, hatte die Allwissenheit der Götter angezweifelt. Die verurteilten ihn zu ewigen Höllenstrafen in der Unterwelt: Er bekam (bzw. „bekommt“) nichts zu essen und zu trinken. "So was ist gemein", wollen wir Zeus da zurufen. Aber heute wissen wir: Zeus war und ist eine Erfindung. Eine Erfindung der Geistlichkeit. Der ganze Olymp: Eine Lüge. Das Orakel von Dephi: Eine Lüge im Eigennutz.