Was malen, was tun Schizophrene – und warum?

 

  

Vorwort Müller: Nachtrag 28.12.: Überschrift, Text und Bilder ergänzt und überarbeitet – Ein neuer Beitrag von Frank Sacco, Doktor der Medizin und Religionskritiker, befasst sich mit dem wirklichkeitsentrückten Denken der Schizophrenen. Anhand von Bildern demonstriert Sacco, wie traumatisch die Androhung einer ewigen Folterhölle und andere kirchlich eingeredete Schuld wirken kann. Saccos Fazit: Während der „gesunde“ Erwachsene und der Schizophreniepatient die Brutalität ihrer Religion erfolgreich verharmlosen, sind Kinder ihr hilflos und mit allen Folgen  ausgeliefert.

 

Was malen, was tun Schizophrene – und warum?       

  von Frank Sacco 

 

Stellt das wirklichkeitsentrückte Denken der Schizophrenen den Versuch einer Heilung dar? C. G. Jung und einige alte Meister waren dieser Meinung.  Wir sprechen von Defektheilung, wenn die Erkrankung im Prinzip  bestehen bleibt, jedoch erträglicher wird. Nur isoliert (z. B. mittels Neuroleptika) einen Wahn zu behandeln, ohne zuvor die Krankheitsursache anzugehen, ist ein heute regelmäßig begangener Fehler in der Psychiatrie, die sich mit einer erlebnisbedingten Genese der Erkrankung heute so gut wie nicht mehr beschäftigen mag. Man äußert, und das ohne Beweis, die Angelegenheit sei „genetisch“ bedingt. Dabei ist es in der Regel Gottangst, die  größte Angst des Menschen, die in eine „rettende“ Psychose führt.

 

 

 

 

von einem Psychotiker nachempfundenes Bild (Ausschnitt)

(Original von Werner Voigt,  Die Alsterdorfer Passion II, 1986) 

 

 

Werner Voigt, ein Patient mit einer Schizophrenie,  ist einer der bekanntesten Künstler der Gruppe „Die Schlumper“ in Hamburg. Er starb im Alter von 79 Jahren im Sommer 2015. Er überlebte die Euthanasiebestrebungen des 3. Reiches. Der Aufenthalt in den kirchlich geleiteten Alsterdorfer Anstalten war eine Qual. In dem hier zu besprechenden Gemälde (Die Alsterdorfer Passion von 1986) berichtet er uns darüber schriftlich: „Erst haben sie mich geschlagen und gepettet, dann haben die Pfleger mich in Wachsaal getragen… In der Schneiderei hat mich der Meister mit dem Bügelbrett auf den Kopf geschlagen.“ Voigts Bilder, auch das hier diskutierte, sind teilweise  im Internet im Original zugänglich:

http://www.schlumper.de/en/verein/sammlung/werner-voigt.html

 

Voigt lebte ganz seine Religion. Er zeigt darin zwanghafte Züge. So hat er sein Zimmer in eine Kapelle verwandelt, so malt er vorwiegend biblische Motive.  Oft  betete und missionierte er, ein Merkmal ja so vieler Schizophrener. Tiefenpsychologisch wird man in der Regel solcherart Missionar oder Prediger, um jenseitige Strafen seines Rachegottes zu verhüten oder zumindest abzumildern. Im oben gezeigten Gemälde klagt Voigt sich an: „Auch ich habe gesündigt. Bei Karstadt habe ich Mundwasser gestohlen und 8×4 und Tabak-Rasierwasser.“ Man bemerke die subjektive Wichtigkeit dieser „Sünden“, die ja als Schuld objektiv wirkliche Bagatellen darstellen. Die Amtskirchen nutzen  über Evas Apfelnehmen ihre Chance, wirklich kleinste Vergehen zu einer tod- oder gar höllenwürdigen Sünde zu erklären, ein Trick, der sich finanziell seit Jahrhunderten auszahlt. Ein kleinlicheres Wesen als der Christengott ist nicht denkbar. Er bestraft sogar Gedanken und straft damit das schöne Lied „Die Gedanken sind frei“ Lügen.

 

Ein fröhlich lachender „Engel“ ist über dem zentral gemalten „Heiland“ abgebildet, einem fröhlich  lachenden Heiland am Kreuz, flankiert von den zwei ebenfalls Gekreuzigten. Warum, so fragen wir uns, warum diese Heiterkeit am Kreuz? Es fließt kein Blut. Es ist eine von jeder Realität abweichende Kreuzes-Heiterkeit, die wir auch auf Gemälden anderer Schizophrener wahrnehmen.

Nun, hier wird eine weit größere „Sünde“ als das Stehlen eines Mundwassers (weg) – bagatellisiert: Diese kirchlich eingeredete „Schuld“ eines jeden Menschen – eben durch seine Sünden – am Kreuzestod Jesu. Diese „Maximalschuld“ wiegt in der Seele psychisch Kranker besonders zu Krankheitsbeginn  mehr als jedes entwendete Mundwasser, ja sie hat an der Krankheitsentstehung mitgewirkt bzw. sie bewirkt. Ein am Kreuz wahnhaft bzw. realitätsentrückt fröhlich gemalter Jesus mindert das Leid Jesu und damit die persönliche „Schuld“ des Erkrankten  an diesem Foltertod. Da bei jedem Abendmahl diese „Schuld“ dem Abendmahlsnehmer geradezu mit Brot und Wein als „Gift“, wie uns schon Rilke lehrt, inokuliert wird, versucht ein ekklesiogen schizophren Gewordener diese seine größte „Schuld“ zu verniedlichen bzw. überhaupt Leid und damit Realität zu bagatellisieren. Das von Rilke identifizierte Gift wird sozusagen über den Wahn abgebaut, das Sterben am Kreuz  im Jahr 32 n. Chr. sei leicht gewesen.

 

 

Das skurrile Schuldgeben an einem Foltermord, wo objektiv gar keine Schuld ist,  ist das Unheilige am unheiligen Abendmahl und ein erneuter Kirchentrick, der so viele Menschen, die hier künstlich zu Meuchelmördern gemacht werden, in die oft lebenslange psychische Erkrankung führt – auch in die Psychose.  Man will Demut  – und erntet Erkrankungen. Diese unsere kollektiv kirchenängstliche Gesellschaft gibt ihren Amtskirchen die Freiheit, ihren per Gesetz schuldunfähigen Kindern (§19 StGb) und Psychotikern (§20 StGb) einen begangenen Mord mitsamt der vollen Schuld daran einzureden. Die angesprochene kollektive Gottangst zeigt sich in der Unfähigkeit, Gottkritik zu üben: Die Veranstalter bzw. Planer eines Holocaust (Gott mit der Sintflut, Jesus mit der Apokalypse)  werden sogar „geliebt“. Hier spielt Verdrängung eine Rolle, die im Prinzip auch zu einem Wahn führt, dem Wahn, die Götter im Christentum  könnten so etwas wie „Die Liebe“ sein. Sie sind das Gegenteil.

 

Auch die offene und ernstgemeinte Androhung einer ewigen Folterhölle, von unserer leider so kirchenabhängigen Psychiatrie als Bagatelle ohne Schädigungspotential eingestuft, erweist sich als schizophrenogen. Der Erkrankte, in diesem Fall Voigt, ergreift die Möglichkeit, auch ohne Theologiestudium „Priester und Missionar“ zu werden und sich zur Gänze dem Dogma seiner Kirche zu unterwerfen.

 

In einer kirchlich geleiteten Alsterdorfer Psychiatrie wird das natürlich allzu  gern gesehen. Man hat einen friedlichen, konservativ-demütigen  Gläubigen vor sich, der ein „Beispiel“ für die Allgemeinheit abgibt, die sich aus einer erklärlichen inneren Abneigung heraus nur vom 2. bis 16., und dann ab dem 75-zigsten Lebensjahr länger in einer Kirche aufhält. Schizophrene sind sozusagen aufgrund ihrer Angst immer in der Kirche. Doch nicht aus freiem Willen. Dieses aus einer Not heraus gewählte Gefängnis beruhigt ihre Nerven. Es gibt sogar Patienten, die sich gleich wahnhaft zu Maria, Jesus oder Gott ausgestalten, Personen also, die nach dem Dogma nicht einer ewiger Strafe unterliegen.  Das ist, weil man eben auch irgendwo „weiß“, dass man auch Herr  Friedrich Meyer ist, nur mit zwei Personen in einer Person möglich. Man ist in einer Symbiose mit einem biblischen Rettungsring innerpsychisch gespalten: schizophren.

Ein anderer schizophrener Patient  malt sich nicht ohne Unterlass die Schuld (die keine ist) von der Seele, er sammelt ohne Unterlass Sterntaler. Er führt akribisch Buch wie der Bibelgott nach Angabe des Vatikan akribisch Buch führt. Der Grund: Der Psychotiker hofft, am Ende jeden Monats seinem Gott eine positive Bilanz vorweisen zu können. Denn bei negativer Sterntaler-Bilanz winkt die zeitlich unbegrenzte Folter (Hölle), die als Idee nur einen weiter Kirchentrick darstellt. Denn welcher Gott hat nach Auschwitz schon Lust auf die Einrichtung eines ewigen KZs? 

 

Hier kommt zur Anschauung so eine Seite einer rettenden Sterntalersammlung meiner Freundin (und Patientin) S. 

 

Monat Juli      01.07.2015

Rubrik # 1: Fleiß im Haushalt

1. Ich putzte das Bad. 1 *

2. Ich verrichtete den Küchendienst. 1 *

3. Ich hielt, wie immer, nach Post wenigstens Ausschau. 182 *

4. Ich ging, wenn auch mit Hilfe meines Vaters, bei Rewe nur das Nötigste Einkaufen. 1 *

5. Vorher fertigte ich den Zettel an. 1 *

6. Das selbstständige Bezahlen der Ware hat gut geklappt. 1 *

7. Ich trug meine Einkäufe hoch. 1 *

8. Ich räumte sie größtenteils weg. 1 * das sind ja 189 * von eigentlich 35 * und das sind dann 154 * extra.

Rubrik # 2: Betragen

1. Ich verhielt mich den Nachbarn, soweit es mir bekannt ist, immer löblich gegenüber. 2727 *

2. Ich hielt dreimal am Tag Frieden am Tische. 3 *

3. Ich war Vater dankbar, dass er mit mir zum Edeka-Markt ging. 1 *

Donnerwetter! Das sind ja 2731 * das sind also 2 Sondersterne, 7 Ferienbonussterne, 0 Wochensterne, 3 Bedürfnissterne und 1 Rechtestern; und zur Belohnung habe ich dafür einen Kartenspielabend in Aussicht.

Rubrik # 3: Religionsaufgabe

1. Bis jetzt betete ich immer, was ich nicht aufschreiben durfte, alle Rosenkränze täglich, die es gibt. 182 *

2. Das gilt auch in Puncto Innere Beichte. 182 *

3. Das gilt auch in Puncto Inneres Beten. 182 *

4. Das gilt auch in Puncto Inneres Buße tun. 182 *

5. Das gilt auch in Puncto Innerer Exorzismus. 182 *

6. Das gilt auch für die Innere Andacht. 182 *

7. Das gilt auch für die größtenteils gelebte Askese. 182 * das sind ja, mein lieber Mann

und Scholli, 1274 * das sind also 1 Sonderstern, 2 Ferienbonussterne, 1 Wochenstern, 2 Bedürfnissterne und 4 Rechtesterne. Also, dafür habe ich zur Belohnung einen Schokoladenriegel einmal in der Woche oder ein schönes Ayovedisches Patchuliduschgel in Aussicht. Einmal muss es doch einen Ablass geben dafür.

Rubrik # 4: Dienst für die eigene Gesundheit

1. Ich trank genug. 1 *

2. Ich schrieb es auf. 1

3. Ich verweigerte die Tabletten nicht. 1 *

4. Ich verweigerte die Pillen nicht. 1 * das sind 4 von 25 *

Rubrik # 5: Zusatzaufgaben zur Erreichung von Extrasternen: 0 * Rubrik # 6: gute Gedanken: 0 *

Gesamttagessterntalerpunktzahl: 4198 * das sind 4 Sondersterne, 1 Ferienbonusstern, 1 Wochenstern, 4 Bedürfnissterne und 8 Rechtesterne. Dafür habe ich zur Belohnung in Aussicht, ausnahmsweise einmal am Supernintendo spielen zu dürfen.

 

     

Als oft problematisch, und auch daher schreibe ich diesen Artikel,  sehe ich die Zusammenarbeit der Schlumper mit den Kindern der Hamburger integrativen Ganztagsgrundschule "Louise Schroeder Schule"  an, die deren Werke “nachmalen“, also z. B. die Kreuzigung nachmalen. Was Schizophrene durch ihre spezifische Malweise erleichtert, belastet ein (noch) gesundes Schulkind. Am 11.12.2015 fiel mir im Atelier der Schlumper ein Gemälde (unter „Anonym“ verzeichnet, „galeriepädagogisches Angebot“) auf, Größe ca. 70 x 85 cm. Nach Angabe der Aufsicht sei es  „unverkäuflich“, da von einem Schulkind gemalt.

 

 

„Gesundes“ Kind malt Kind am Kreuz

Obiges Bild zeigt ein nacktes rosafarbenes Baby in Windeln, das Gesicht eine Fratze. Es hängt am Kreuz und blutet  am Kopf und aus den fünf Todeswunden Jesu. Es fließt viel Blut. Kinder sind Realisten. Hier hat ein Kind die Kreuzigung ohne die Möglichkeit des Wahnes eines Schizophrenen oder der Verdrängung eines Erwachsenen nachempfunden. Es hat sich selbst oder das Geschwisterchen „stellvertretend“, wie die Kirchen lehren, am Kreuz gemalt. Jesus sei ja „stellvertretend“ für dieses Sünder-Kind ans Kreuz gegangen, so das ebenso leidige wie krankmachende Dogma. Dieses Kind kann die Rollenspannung nicht aushalten, gibt die Rollendistanz auf und macht sich (oder sein Geschwisterchen) dem Geglaubten in einer inneren Theatralik gleich. Hier ergibt sich möglicher Weise  eine Unachtsamkeit der Pädagogen im Atelier: An dieser Stelle ist ein Kind traumatisiert worden und präsentiert uns seinen Schaden in seinem Gemälde. Und irgendwann wird es vielleicht als Folge dieses Traumas, das auch in jedem Abendmahl stattfindet,  ebenfalls den Weg der Erleichterung sehen, den jeder Schizophrene einmal ging: den Weg in die Realitätsflucht und den Wahn. Kein Kind hält es ohne Schaden aus, die Schuld an einem Kreuzestod zugesprochen zu bekommen oder gar selbst den Kreuzestod erleiden zu müssen. Kein Kind hält einen Gott aus, der, hätte der Stellvertreter Jesus „nein“ gesagt, nach dem Dogma alle sündigen Kinder an ein Kreuz genagelt hätte. Kein Kind hält einen Gott aus, der mit der Sintflut einen Holocaust hingelegt hat und alle Kinder in Sodom und Gomorrha lebendig verbrannte.

 

Zeigt man Kindern die Realitäten dieser Welt zu früh und zu unbedacht  auf, und führt man ihnen als Eltern oder Erzieher die Brutalitäten und Tricks unserer Religion nicht korrigierend vor Augen, so wählen sie evtl. später auch andere „Lösungen“ im Rahmen eines Sacco-Syndroms. Ich denke da vor allem an Süchte, ADS, Autismus, die masochistische ekklesiogene Depression und deren mögliche tragische Folge: den ekklesiogenen Suizid.

Ein entsetzliches Trauma für jedes denkende Kind im Rahmen der Kreuzigungsstory stellt auch die Nichtrettung Jesu dar: Der als allmächtig geschilderte „Vater“ wird durch seine grausam unterlassene Hilfeleistung in diesem besonders schweren Fall zum eigentlichen Judas. Ein mitfühlender Gott würde eine Vergebung von Sünden nicht zwangsläufig von einem Foltertod seines Sohnes abhängig machen. Da sind, und so denkt jedes Kind, auch  andere Wege denkbar. Die  Allmacht Gottes ist, das wissen wir spätestens seit Auschwitz,  kirchliche Reklame. Ein allmächtiger Christengott hätte die Gashähne wieder zugedreht.

Dass das Abendmahl krank macht, hier also Schizophrenie bedingt, wollte mir die Staatsanwaltschaft Hannover im Jahr 2009 nicht bestätigen. Ich hatte Bischöfin Käßmann nach zwei Abmahnungen wegen Kindesmisshandlung angezeigt. Sie hatte das Abendmahl für Vierjährige (!) etabliert. „Gänzlich unverdächtig“, so der Staatsanwalt, sei es, diesen 4-jährigen  die Kreuzesschuld im Abendmahl zu geben und sie mit einer ewigen Folterhölle zu bedrohen. Dass die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer mir damals mit den Worten, sie sei wegen der von mir geschilderten  „Grausamkeiten“ der Kirchen ausgetreten, Recht gab, durfte in einer Sitzung über Glaubensgrundsatzfragen nicht in das offizielle Protokoll. Das wäre eine grundsätzliche Kritik an den Kirchen gewesen und hätte diese verpflichtet, die Kosten der Behandlungen bei kirchenbedingten Gesundheitsschäden aufgrund des Verursacherprinzips zu übernehmen. Es hätte den finanziellen Ruin der Amtskirchen bedeutet. Hier hat der für das Protokoll zuständige Jurist meiner Ärztekammer also gut aufgepasst und das Gegenteil eines Ruins der Kirchen stabilisiert: Der hauptsächliche Träger deutscher Psychiatriekliniken produziert sich also die Erkrankten (und damit die Einnahmen) weiterhin selbst. Er verpflichtet bereits bei der Einstellung seine ärztlichen Angestellten, sich dem geltenden Dogma zu unterwerfen. Er lässt, so meine Vermutung,  deren Diagnose „ekklesiogene Erkrankung“ nicht zu. Fazit: Während der „gesunde“ Erwachsene und der Schizophreniepatient die Brutalität ihrer Religion „erfolgreich“ verharmlosen, verdrängen und negieren können, sind Kinder ihr hilflos und mit allen Folgen  ausgeliefert.