Rezension Clemens de Boor: Psychoanalytische Behandlung eines Asthmakranken  (objektive Daten des Pat. verändert)Aufsatz im Buch „Einführung in die Psychosomatische Medizin“, Fischer Athenäum, Sozialwissenschaften, Psychologie 1974



Rezension Clemens de Boor: Psychoanalytische Behandlung eines Asthmakranken  (objektive Daten des Pat. verändert)Aufsatz im Buch „Einführung in die Psychosomatische Medizin“, Fischer Athenäum, Sozialwissenschaften, Psychologie 1974

 

Mit Eintritt in eine 5-jährige Analyse mit 580 Stunden ist der Patient 22 Jahre alt. Asthma und Depressionen kennzeichnen die Familienanamnese. Die Familie ist gläubig. Vater Beamter, Mutter Musiklehrerin. Nach seiner Geburt wird die Mutter depressiv. So muss eine Verwandte das Kind 3 Jahre übernehmen. Sie soll wohl „wenig einfühlsam“ gewesen sein. Milchschorf tritt auf, Asthma seit dem 3.Lebensljahr. Sexualität ist der religiösen Mutter ein Gräuel. Sex gilt als Sünde. Bis zur Analyse schläft der Patient neben seinem Vater. Die Mutter im Wohnzimmer. Körperlich zärtlich kann die Mutter nicht sein. Schnell ist sie beleidigt. Sie „tyrannisiere“ das Kind mit dem „Gegenteil von Strenge“, so der Patient. Das macht das Kind aggressiv. Der Vater: meist rabiat, selten fürsorglich. Zwischen dem 8. Und 10 Lebensjahr entstehen nächtliche Panikattacken beim Einzelkind: Etwas Grau –Schwarzes kommt in Träumen auf ihn zu: etwas wie „Geister“. Was sind das für Geister? War es der Heilige Geist?

 

Thema Sexualität: Alles Sexuelle ist „durch häusliche und kirchliche Erziehung absolut verboten“. Auch Phantasien in der Richtung. Phantasiert das Kind dennoch, kasteit es sich mit Schlägen. Niemals onaniert der Patient mechanisch. Nur über Phantasien. Seine vielfältigen Beziehungen zu Mädchen sind ambivalent und schwanken zwischen Abwehr und Wunsch nach zärtlichem Berühren des Busens. Als ihm während eines Asthmanfalles die analytische Ursache dargelegt wird, die „Angst vor seinen passiven Liebeswünschen“, hört der Anfall auf. Zu Anfällen kommt es u. a. bei sexuellen Phantasien, die zwischen Zärtlichkeit und ausgeprägtem sexuellen Sadismus schwanken: Sein Penis „zerreißt die Frau“.

 

Schön und richtig wird die Über-Ich – Struktur des Patienten beschrieben. Den Forderungen der introjizierten Elterninstanz nach absoluter Sex-Karenz kann der Patient nicht entsprechen. Kein Kind kann das. Sein Gewissen leidet daher unter „starken Schuldgefühlen“. Nun kommt die Religion ins Spiel: Es sind Sündengefühle. „In seiner lieblosen, rachsüchtigen Religiosität“ vermutet de Boor „eine Verbots- und Strafverschiebung vom leiblichen auf den überirdischen Vater, der keine Gnade kennt… Das Leben des (anscheinend also jüdischen) Patienten wurde reguliert vom Gesetz des Talion: Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Er bleibt ein „Sklave“ seiner restriktiven Religion. Wie und ob der Autor  diese Ursache des Asthmas therapeutisch angeht, wird nicht geschildert. Bleibt er in der Tradition Freuds und damit stumm? Unternimmt er politisch  etwas gegen die Vertreter dieser Dysreligion, von der Schopenhauer und Nietzsche sprechen? Die heutige deutsche Psychiatrie ist bezüglich ekklesiogenen Erkrankungen bis auf Ausnahmen unausgebildet und taubstumm. Ob das Feigheit sei, fragt ein Schweizerischer Analytiker. Der in diesem Wort enthaltene Vorwurf kann sogar zu einer Emanzipation meiner Kollegen führen, einer Emanzipation gegenüber ihrem größten Arbeitgeber.