Die Theorie Sigmund Freuds

In der Psychoanalyse gilt bis heute nach S. Freud, Angst komme von

a.) einer Anhäufung nicht entladener sexueller Spannung, also direkter Umwandlung einer verdrängten Libido in Angst oder

b.) dem Signal einer wahrgenommenen Gefahrensituation, die zu einem Trauma führen kann. Gefahrsignale können in einem unbewussten intrapsychischen Konflikt verborgen sein.

 

Zu a.): Triebdruck als Angstursache erscheint nicht nur mir ein zu theoretischer Gedanke. Freud: „Man kann es in der Annahme versuchen, dass das Ich (im Falle nicht abgeführter sexueller Erregung) Gefahren wittert, auf die es mit Angst reagiert.“ Was sollen das aber für Gefahren sein, wenn es nicht zu einem sexuellen Erlebnis kommen konnte? Zu einem solchen Geschehen wird es schon noch irgendwann kommen. Man kann obige These nur verstehen, wenn man Freud und seine Zeit versteht.

 

Zu b.): Bei allen (!) Knaben spiele in der Krankheitsgenese der Ödipuskomplex eine zentrale Rolle. Zugrunde liegt ihm ein archaisch griechischer Mythos brutaler Art. Söhne würden sich in aller Regel in die Mutter verlieben. Sie würden ihren Vätern die Mutter als Liebesobjekt nicht gönnen und würden sie aus dem Weg haben wollen. Und ihre Väter sie. Letztlich würden die Söhne den Vater töten wollen. Ein kleines Kind (und später das Kind-Ich im Unbewussten eines Erwachsenen) könne sich nun in Gefahr sehen, sein Vater wolle ihn, den Nebenbuhler in der auch sexuellen Liebe zur Mutter, aus Wut, Rache und Eifersucht kastrieren. Wir alle haben von dieser „Kastrationsangst“ schon gehört. Zunächst ist dies urologisch ungenau. Eine Kastration ist das Entfernen der Hoden und nicht des Penis. Doch seien wir nicht so kleinlich, schauen wir in Freuds Originalarbeit, seinen „Abriss der Psychoanalyse“:

Die Mutter will Onanie beim männlichen Kleinkind unterbinden, zunächst ohne Erfolg. „Irgend einmal besinnt“ sich die Mutter darauf, dass sexuelle Erregung beim Sohn „nicht recht ist.... Endlich greift die Mutter zum schärfsten Mittel...“ und äußert vor dem Kind, sie „wird es dem Vater sagen, und er wird das Glied abschneiden“, so Freud. Diese Kastrationsangst sei „das stärkste Trauma seines jungen Lebens.“ Das ist schlicht falsch.

 

Die uralte Sitte der Beschneidung sei ein „Symbolersatz der Kastration“, und „Ausdruck der Unterwerfung unter den Willen des Vaters“, so Freud. „In der Vorgeschichte der Menschheit ist es gewiss der Vater gewesen, der die Kastration als Strafe übte und dann zu Beschneidung ermäßigte“, so der Psychiater. Der Zwang in die Kultur, in die Religion hinein sei der geheime Sinn der Beschneidung.

Das größte Trauma jedes Mädchens sei dagegen der fehlende Penis! Auch das ist schlicht falsch. Das führe zu einem sich „auf seine ganze Person“ ausdehnenden Minderwertigkeitsgefühl. Freud kann und darf nicht (ein)sehen, dass klerikale offene Höllenandrohung ein unvergleichlich gravierenderes Kindheitstrauma darstellt. An diesem Punkt blockiert ihn seine Neurose, die ihm in der Tat in wiederholten Ohnmachten den Boden unter den Füssen wegzieht. Ohnmächtig ist er seinem Gewaltgott Jahwe ausgeliefert, den er nur in den 2 % seines Bewusstseins, nicht aber in den 98 % seines ihm unbewussten Unbewussten bezwingen konnte. Ich betone immer gern, dass das Unbewusste eines Menschen ihm tatsächlich unbewusst ist. Das ist zu beachten, wenn jemand äußert, er glaube „mit Sicherheit“ nicht an die Hölle. Was wir letztlich glauben, wissen wir in aller Regel nicht, denn es ist uns nicht bewusst. Sein Glaube war Freud nicht bewusst.

 

Die Theorie Freuds (jüdischen Glaubens), mutet Christen befremdlich an. Aber weiter: Wie kann ein jüdischer Junge Angst vor solch einer abwegigen Tat seines Vaters haben? Vielleicht war die Beschneidung in Urzeiten deutlich „mehr“, und ist heute nur als „harmloses“ Ritual erhalten geblieben. Vielleicht war es früher die Abtrennung des Gliedes. Das hätte dem Stammesführer den alleinigen Zugriff auf seinen Harem gesichert im Gegensatz zur Kastration, wo die Fähigkeit zum Verkehr erhalten bleibt. Und ebenso erfinderisch wie brutal sind Menschen in dieser Hinsicht ja tatsächlich genug. Ich verweise nur auf das heutige Zuoperieren der weiblichen Vagina in afrikanischen Ländern. Diesen Eingriff nehmen übrigens ausschließlich Frauen, und das mit Eifer und einer Rasierklinge vor. Der Verschluss wird erst in der Hochzeitsnacht vom Ehemann wieder eröffnet. Auch Eckhart Wiesenhütter weiß: „Die Beschneidung ist der symbolische Ersatz der Kastration, die der Urvater einst aus der Fülle seiner Machtvollkommenheit über die Söhne verhängt hatte.“ In „Religion und Tiefenpsychologie“.

 

Eine spontane Angst vor Eingriffen im Genitalbereich ist für das christliche Kind jedoch denkbar gering. Es hat eine derartige rohe Intervention, dazu noch ohne Narkose, noch nicht erlebt. Ein jüdischer Knabe erlebt sie dagegen meist vielfach: Am eigenen Leib und am Leib der jüngeren Brüder, Bekannten und Verwandten. Während es für (fast) alle anwesenden Erwachsenen ein „Fest“ ist oder es sein soll, schreit das verletzte Kind vor Schmerz ohne Unterlass und meist mehrer Tage.

Das christliche Kind weiß indes mit dem Thema Kastration wahrscheinlich überhaupt nichts anzufangen und hat somit auch keine derartigen Ängste. Meine Eltern drohten mir nie damit, mein Lehrer in der 1. Klasse schreckte uns hingegen regelmäßig mit der ewigen Hölle. Dorthin kämen wir, wenn wir zuviel lügen würden. Freud äußert sich in einem Brief an Karl Abraham am 3. 5. 1908 über die Unterschiede im Glauben bei Volksgruppen und deutet damit auch Besonderheiten der Entstehung und Ausprägung seelischen Empfindens bzw. seelisch bedingter Krankheiten an.

 

Die moderne Deutung der Ödipus Sage >